16.08.2016
Die Dressurkür, die Einzelwertung in Rio, war ein großer Tag. Nicht nur für die drei Medaillengewinnerinnen, Charlotte Dujardin auf Valegro (Gold, 93,857 Prozent), Isabell Werth auf Weihegold (Silber, 89,071) und Kristina Bröring-Sprehe auf Desperados (87,142, Bronze). Auch für die Dressur als Sport.
Denn auf die Ehrenrunde gingen drei Pferde, die nach den Regeln der klassischen Reitkunst ausgebildet wurden, drei Reiterinnen, die keine Tricks brauchen, um ihre Pferde zu den lebenden Kunstwerken zu machen, als die sie sich in Rio präsentierten.
Als das Goldmedaillenpaar von London, Charlotte Dujardin und der 14-jährige Valegro, ins Reitstadion von Deodoro trabten, wurde es mucksmäuschenstill. Kraft, Energie und Entschlossenheit strahlte das Paar aus und jeder konnte ahnen, dass sich die Fehler aus dem Grand Prix Special nicht wiederholen würden. Da hatte Dujardin Isabell Werth mit Weihegold vorlassen müssen, doch der deutschen Rekordolympiasiegerin hatte da schon geschwant: „Die Fehler werden Charlotte nicht nochmal passieren, wir müssen mal die Kirche im Dorf lassen.“
Genauso kam's. Mit geballter Kraft flog Valegro übers Viereck, ausdrucksvolle Trabverstärkungen, Piaffepirouetten kombiniert mit Passagetraversalen. Zickzack-Traversalen im Galopp über die ganze Vierecksbreite, fehlerlose Einer- und Zweierwechsel. „Es war ein magischer Moment heute“, sagte Dujardin nach ihrem Ritt. „Es war eine wunderbare Partnerschaft und Verbundenheit zwischen mir und meinem Pferd, es war alles so mühelos und leicht.“ Den meisten Zuschauern und Konkurrenten war klar, dass die 93,857 Prozent, die die Richter für das Kürprogramm zu flotten südamerikanischen Rhythmen vergeben hatten, nicht mehr einzuholen sein würden.
BYE BYE, BLUEBERRY!
Manche mögen es zudem geahnt haben: Sie erlebten die Abschiedsvorstellung von Valegro bei einem Championat, der in den letzten vier Jahren, seit dem Doppelgold von London 2012, wo immer er auftrat, die Dressurvierecke beherrscht hat wie kein zweites Pferd. Mit der zweiten Einzelgoldmedaille, der dritten insgesamt, ist Charlotte Dujardin die erfolgreichste britische Olympiasportlerin, hält heute alle internationalen Titel: Olympiasiegerin, Welt- und Europameisterin. Der Braune wurde in den letzten zwölf Monaten sehr gezielt eingesetzt, vor Rio nur einmal auf einem kleineren britischen Turnier, ansonsten geschont. Das hat ihm offensichtlich gut getan. Jetzt ist er dem Ruhestand nicht mehr fern. „Der Zeitpunkt steht noch nicht fest“, sagt Dujardin, „aber wir wollen ihn verabschieden, solange er auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn ist.“ Auch sie selbst hat neue Pläne für ihr Leben, will im nächsten Jahr ihren langjährigen Verlobten Dean Golding heiraten.
DIE GRÖSSTE ALLER ZEITEN
Isabell Werth hat mit ihrer Silbermedaille einen weiteren Rekord gebrochen. Es war ihre 10. Olympiamedaille, das hatte noch niemand zuvor geschafft. Die Erfolgreichste war sie ja schon nach dem Mannschaftssieg, ihrer sechsten Goldmedaille. Wie schon im Special ritt Isabell Werth alles aus der schönen Stute heraus, aber die Siebenmeilenstiefel von Valegro hat Weihegold nun mal nicht. Es reihte sich Schwierigkeit an Schwierigkeit, Piaffe-Pirouetten in alle Richtungen, makellose Piaffe-Passage-Übergänge, Zickzack-Traversalen im Wechsel von Passage und versammeltem Trab. Gute Schrittpartien, leider zwei Fehlerchen, einmal Taktfehler im starken Trab und eine Störung vor einer Piaffe im letzten Teil der Kür. Fehlerlose Galopptour mit dem Wechsel vom starken Galopp in die Doppelpirouette, eine schwierige Lektionsfolge, die ihr mehrere Reiter inzwischen nachgemacht haben. „Auch ohne die Fehler hätte das am Ergebnis nichts geändert“, sagte Isabell Werth, „Wenn Valegro so geht, ist er einfach nicht zu schlagen.“
BRONZE MIT IHRER BESTEN RUNDE
Die Bronzemedille ging an Kristina Bröring-Sprehe, deren 15-jähriger Hengst Desperados seine beste Prüfung dieser Spiele hinlegte, alles geprägt von großer Leichtigkeit. Die Anstrengung, die Pferd und Reiterin in diesen Ritt stecken mussten, sah man ihnen nicht an. „Diese Tage waren sehr viel für ihn“, sagt Bröring-Sprehe, „er hat toll mitgearbeitet, aber jetzt war er am Limit, die Luft ist jetzt raus.“ Die Kür begann mit Traversalen im Wechsel von Trab und Passage, die Piaffen gelangen gut und der starke Schritt, entwickelt aus einer Piaff-Pirouette, war der Beste des Tages mit schöner Halsdehnung. Die Galopptour gelang ebenfalls gut, mit lediglich einem kleinen Haken in den Zweierwechseln.
DIE PLÄTZE VIER BIS SECHS UND EIN BLICK IN DIE ZUKUNFT
Mit 85,195 Prozent wurde die US-Reiterin Laura Graves auf dem energischen Verdades Vierte. Der kapitale Braune gewinnt in der Bewegung, imponierte durch seine Piaffe-Passage-Touren, durch den knackigen starken Trab, durch die nahtlosen Übergänge von Zweier- und Einerwechseln auf gebogener Linie.
Sie verdrängte den Publikumsliebling Severo Jurado Lopez auf Lorenzo auf Platz fünf (83,625). Der dynamische Fuchs v. Lord Loxley flog übers Viereck, imponierte in der schwungvollen Paffe-Passage-Tour, allerdings häufig mit nach hinten herausgedrücktem Sprunggelenk und pinselndem Schweif.
Dorothee Schneider und Showtime wurden mit 82,946 Prozent Sechste in einer Prüfung, in der es doch einige Fehler gegeben hatte. Gelungenen Passagen und Trabverstärkungen standen nicht ideale Piaffen mit etwas kleiner Grundfläche gegenüber. Dann war jedesmal der Übergang in die Passage nicht einfach für den großen Braunen. Auch diesmal hatte er Schwierigkeiten, aus der Rechtspirouette herauszukommen. „Das war heute einfach ein bisschen viel für ihn“, sagte Dorothee Schneider, „Die Tage waren sehr anstrengend, hinzu kam die Wärme.“ Noch hat es nicht zu einer Medaille gereicht, aber ohne Zweifel: Valegro ist Geschichte, Showtime gehört die Zukunft.